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Channel: England – 120minuten
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Auf den Spuren der englischen Fußball-Memorialkultur – Impressionen aus London

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London 2019. Ich war unterwegs in die englische Hauptstadt, um erste Einblicke in die dortige Memorialkultur im Fußball zu sammeln. Meine Recherche im Vorfeld hatte ergeben, dass man bei Queens Park Rangers Asche von verstorbenen Fans im Stadion begraben kann. Eine besondere Möglichkeit für Anhänger*innen, auch über den Tod hinaus ihrem Herzensverein ganz nahe zu sein. Wie genau eine Begräbniszeremonie im Stadion von QPR aussieht, wollte mir der langjährige Clubpfarrer erzählen. Gespannt machte ich mich auf den Weg nach London, wo mir nicht nur an der Loftus Road interessante Elemente der englischen Erinnerungskultur begegneten.

Das Kiyan Prince Foundation Stadium der Queens Park Rangers ( (c) Carmen Mayer)

von Carmen Mayer (trauerundfussball.de) | Oktober 2019

Es war ein kühler, sonniger Tag im April, als ich am Flughafen London-Heathrow landete. Ich war gerade noch dem Brexit entkommen, der eigentlich am Tag meiner Reise hätte beginnen sollen und dann doch noch mal mindestens bis Oktober verschoben worden war. Meine erste Station führte mich in ein Pub in Notting Hill zum Spiel Liverpool gegen Chelsea. Es war der Tag, bevor sich die Hillsborough-Katastrophe zum 30. Mal jährte. Vor der Partie gab es eine beeindruckende Choreographie in Anfield in Erinnerung an die 96 Menschen, die im Stadion ihr Leben verloren hatten. Es war sehr bewegend, als die Bilder der Choreographie auf der Großbildleinwand im Pub übertragen wurden.

Die Kneipe war voll und fest in der Hand der LFC-Fans. Ganz vorne saß neben einem glühenden Anhänger der Reds dessen Hund und starrte wie sein Herrchen gebannt auf die Leinwand. Neben mir saß ein junger Mann mit seiner Freundin und wir kamen ins Gespräch. „Oh, you are from Germany? Jürgen Klopp, he is so great!“, und dann folgte eine Welle der Begeisterung für den Coach der Reds, während das Spiel in der ersten Halbzeit vor sich hinplätscherte. Nach der Halbzeitpause führte Liverpool innerhalb von drei Minuten mit 2:0. Der Pub bebte. Der LFC war zurück im Titelrennen und es wurde nach Abpfiff noch lange gefeiert.

Am nächsten Morgen schaute ich verschiedene Zeitungen durch, um zu sehen, wie viel über den 30. Jahrestag der Hillsborough-Katastrophe berichtet wurde. Es war überschaubar und weniger, als ich erwartet hatte; dagegen war das Gedenken in den sozialen Netzwerken vielfältig. Im Stadion selbst erinnern bis heute auf der Westtribüne 96 weiße anstatt der üblichen blauen Sitze an das Unglück.

West Ham United, ehemaliger Boleyn Ground (Upton Park) und der Memorial Garden

Da ich bis zu meiner Verabredung mit dem Clubpfarrer der Queens Park Rangers noch einige freie Tage zur Verfügung hatte, wollte ich jene Orte aufsuchen, an denen früher die Stadien zweier Londoner Fußballclubs waren und jetzt Wohnkomplexe entstanden waren. Spannend waren sie für mich vor allem deshalb, weil noch Zeugnisse der englischen Fußballmemorialkultur zu sehen waren. Zuerst führte mich der Weg in den Osten von London. Dort stand bis 2016 das Stadion von West Ham United, Boleyn Ground oder auch Upton Park genannt. Auf dem Weg zum ehemaligen Ground lief ich die legendäre Green Street entlang. Links und rechts sind kleine Läden, indische Restaurants, Kosmetiksalons, Kleidergeschäfte, die die neuesten Saris zeigen, Schmuck aus Pakistan oder Köstlichkeiten aus Bangladesch. Schon aus der Ferne sah ich einen noch im Bau befindlichen, großen Wohnkomplex. Hier sollen über 800 exklusive Wohnungen mit dem Namen „Upton Gardens“ entstehen. Übriggeblieben von der alten Heimat der „Hammers“ ist der Memorial Garden, der noch mit den Originalstücken des ehemaligen Stadiongeländes umzäunt ist. Es handelt sich dabei um einen Ort des Gedenkens, keinen Friedhof im klassischen Sinne mit Gräber und Urnen. Vielmehr bietet er den Hinterbliebenen die Möglichkeit, Erinnerungsstücke an ihre Verstorbenen zu hinterlassen. Wer möchte, kann einen kleinen Teil der Asche der verstorbenen Fans verstreuen.

Die rechtliche Situation in Deutschland
In Deutschland ist dies nicht möglich, da aufgrund der Bestattungsgesetze die Asche als Gesamtheit nur auf einem Friedhof, im Bestattungswald oder auf See bestattet werden kann. Bremen hat als bisher einziges Bundesland das Gesetz gelockert und erlaubt mit Auflagen, die Asche von Verstorbenen auf einem privaten Grundstück oder in dafür ausgewiesenen öffentlichen Flächen auszustreuen.

Auf einem Hinweisschild neben dem Memorial Garden ist zu lesen, dass die Baufirma mit West Ham United daran arbeitet, das Gedenkareal würdevoll in die landschaftsplanerische Gestaltung des Wohnkomplexes zu intergieren. Um ins Innere des verschlossenen Memorial Gardens zu gelangen, musste ich eine Nummer anrufen, die auf dem Hinweisschild zu finden war. Kurz darauf kam ein Bauarbeiter, der mir aufschloss. Das Innere des Gardens ist nicht besonders groß. Bei meinem Besuch bestand er aus einem kleinen Feld mit zwei Bäumen, die vereinseigene Schals und Wimpel trugen sowie ein Trikot, auf dem gedruckt stand: „DAD. Always in my heart. R.I.P. Love Sean.“ Außerdem befanden sich dort persönliche Gegenstände und Erinnerungsschilder, auf denen teils Fotos, Namen, Geburts- und Todesdaten der verstorbenen Fans zu sehen waren, manchmal auch persönliche Widmungen.

Als ich den Garden verließ, kam ich mit dem Bauarbeiter ins Gespräch. Richard arbeitet seit zwei Jahren auf dieser Baustelle und ist zuständig dafür, den Memorial Garden für Besucher*innen zu öffnen. Er selbst ist kein West-Ham-United-Fan, sein Herz schlägt für Arsenal. „Früher gab es zwei Sitzbänke hier im Memorial Garden. Diese wurden aber leider geklaut. Um den Garten besser zu schützen, ging man so auch dazu über, ihn abzuschließen.“ Auf meine Nachfrage, ob der Garden regelmäßig besucht würde, nickte er und berichtete, dass nicht nur Menschen aus London, sondern auch von außerhalb kämen, neulich sogar jemand aus Südafrika. Manche erzählten ein bisschen, andere weinten sehr. „Es wird hier auch an viele jüngere Menschen erinnert“, sagte er und machte eine Pause, bevor er lobend die West-Ham-United-Fans erwähnte, die zweimal im Monat in voller Fanmontur erscheinen und im Garden nach dem Rechten schauen. Wir redeten noch lange über Fußball, Trauer und Tod sowie den Umgang damit, bevor wir uns verabschiedeten. Richard winkte mir noch einmal zu und dann war er um die Ecke im Baucontainer verschwunden.

Arsenal, Emirates-Stadion und altes Highbury-Gelände mit Memorial Garden

Meine zweite Station war die Stätte des alten Stadions von Arsenal, das Highbury, wo heute ebenfalls ein Wohnkomplex steht. Nach anfänglichem Zögern entschloss ich mich, auch das neue Stadion von Arsenal, das „Emirates Stadium“, zu besuchen, das nicht weit weg vom ehemaligen Gelände des Highbury zu finden ist. Ich hatte bisher nur wenige moderne Fußballtempel besichtigt, die waren aber alle nichts gegen die aktuelle Spielstätte der Gunners. Nirgends wurde mir bisher so deutlich vor Augen geführt, wie Geld den Fußball regiert. „Kalt“, „glatt“, „edel“, „exklusiv“, „hochwertig“ sind Begriffe, die mir einfielen, als ich mit meinem Audioguide auf der Stadiontour unterwegs war. Eine persönliche Führung wurde nicht angeboten. Der Audioguide tönte mir zu Beginn ins Ohr: „Wenn Sie Fragen haben, stellen sie diese jederzeit unseren Mitarbeiter*innen. Es gibt keine Frage, die Ihnen nicht beantwortet werden kann“. Ob das wohl stimmte, wollte ich herausfinden. In der VIP-Lounge glitt mein Blick übers Stadion und ich fragte einen älteren Mitarbeiter: „Gibt es bei Arsenal die Möglichkeit, seine Asche auf oder am Spielfeld verstreuen oder begraben zu lassen?“ Er blickte mich nachdenklich an: „Das ist eine wirklich gute Frage, die hat mir in den 20 Jahren, die ich für Arsenal als Guide arbeite, noch nie jemand gestellt.“ Eine Antwort wusste er adhoc nicht, versprach aber, er würde versuchen, das herauszubekommen. Er war sehr bemüht, telefonierte mit verschiedenen Menschen, kam jedoch nicht weiter. Ich saß inzwischen in einem der Sessel vor der VIP-Lounge und blickte in das Stadion mit seinen über 60.000 Plätzen.

Es war ein schöner Tag, die Sonne fiel in die Arena und doch fühlte ich mich fremd in dieser Welt des Hochglanz-Glitzerfußballs. Meine Gedanken reisten zu den alten Grounds, in denen alles etwas schrammeliger ist, die Gebrauchsspuren aufweisen, bei denen das Flutlicht in den Himmel ragt, der Rasen nicht aussieht, als wenn er gerade frisch aus dem Katalog verlegt worden wäre und wo es nach einer Mischung aus Schweiß, Bratwurst und Bier riecht. Plötzlich klopfte mir jemand auf die Schulter. Eine Kollegin des Guides sagte mir, dass sie sich um meine Frage kümmern würde. Nach längerer Zeit und einigen weiteren Telefonaten kam sie zurück und meinte, dass es nicht erlaubt wäre, die Asche auf dem Pitch zu verstreuen. Das einzige, was sie anböten, wäre eine „Celebration Corner“ vor dem Stadion, eine Wand, für die man eine Zinkplatte kaufen und sich oder seine Verstorbenen darauf verewigen lassen könnte. Ich bedankte mich für die Mühe und verließ kurz darauf die Lounge, um meine Stadiontour fortzusetzen, die schließlich im Fanshop endete. Den verließ ich zügigen Schrittes und machte ich mich auf den Weg zum ehemaligen Highbury-Stadion.

Es war ruhig im Wohngebiet um Arsenal, ich begegnete kaum Menschen oder Autos, die typischen englischen Häuser reihen sich dort aneinander. Auf einem kleinen Weg gelangte ich ins Innere des ehemaligen Highbury. Dort steht jetzt eine große, noble Wohnanlage namens „Highbury Square“ mit rund 700 Wohnungen. Die Fassaden der ehemaligen Ost- und Westtribüne wurden in den Komplex integriert und beherbergen Apartments, von denen man auf das ehemalige Spielfeld blickt, das jetzt ein schön angelegter Garten ist. Dort befindet sich auch der Memorial Garden, in dem Asche von Arsenal-Fans liegt. Im Gegensatz zu heute war dies im Highbury Stadion möglich. Der Garten ist nicht öffentlich begehbar, sondern nur mit einem Code für die Hausbewohner*innen zugänglich, deshalb konnte ich leider nur durch den hohen Gartengitterzaun ins Innere blicken. Der Memorial Garden ist nur mit Gras und kleinen Büschen bepflanzt. Persönliches findet man dort nicht. Es gibt lediglich eine Bank mit dem Hinweis: “The Bench is dedicated to the memory of many loyal Arsenal Supporters. Arsenal Stadium 1913-2006”.

Queens Park Rangers, Loftus Road – Asche der verstorbenen Fans, die Teil des Groundes werden

Endlich stand mein Termin im Stadion der Queens Park Rangers mit dem langjährigen Clubpfarrer an. Unterwegs wurde ich an Laternenmästen mit Aufklebern von Union Berlin begrüßt – der Verein hatte hier letzten Sommer ein Freundschaftsspiel. Ich lief die Africa Road entlang, die aufs Stadion zuführt und konnte schon das Hauptgebäude sehen. Es ist etwas in die Jahre gekommen, die Fassade ist grau, im oberen Stockwerk stehen hinter einem Fenster verschiedene Pokale und ein Flutlichtmast ragt in den Himmel. Nach dem Besuch des Glitzerstadions von Arsenal Balsam für mein Fußballherz.

Das blaue Wappen von QPR und ein Schriftzug mit „Loftus Road Stadium“ zieren den Haupteingang. Viele Jahre hieß die Heimspielstätte der Hoops nur „Loftus Road“, im Juni 2019 wurde das Stadion in „The Kiyan Prince Foundation Stadium“ umbenannt. Er war ein sehr talentierter Jugendspieler von QPR, der im Jahr 2006 im Alter von 15 Jahren erstochen wurde. Reverend Cameron empfing mich an der Rezeption des Stadions. „Oh, hello Carmen, I see, the Germans are always on time!“

Mit Wasser ausgestattet, führte er mich in eine Loge. Wir nahmen auf einem blauen Plüschsofa mit Blick auf das Spielfeld Platz. Die Loge war heimelig und wies die eine oder andere Gebrauchsspur auf, aber genau das schaffte ein sehr familiäres Gefühl. Im Februar war Cameron nach über zwölf Jahren zusammen mit einem weiteren Kollegen bei einem Heimspiel verabschiedet worden. „Das waren bewegende Momente. Ich habe viele schöne Erinnerungen mitgenommen und bin sehr dankbar, dass ich Teil dieser Gemeinschaft, dieser Fußballfamilie sein durfte.“ Da sein Nachfolger gerade erst eingearbeitet wurde, hatte Cameron mir angeboten, für unser Gespräch noch mal zur „Loftus Road“ zu kommen, worüber ich sehr dankbar war. Cameron hatte mir zu Ehren noch einmal sein blaues Dienstsakko mit einem Wappen von QPR angezogen, darunter stand „Chaplan“. So lautete die offizielle Bezeichnung für seine Tätigkeit. Normalerweise trug er noch einen weißen Kollar, auch bekannt als weißer, ringförmiger Stehkragen. Auf den hätte er heute verzichtet, lachte er. Mit der Dienstkleidung war seine Funktion unverkennbar.

Zu den Aufgaben eines Club-Chaplans gehört es, die Spieler beim Training zu besuchen, hin und wieder gemeinsam mit ihnen zu essen und an Spieltagen im Stadion für die Fans präsent zu sein. Für vertrauliche Gespräche vor oder nach dem Spiel nutzte Cameron die Loge, in der wir saßen. Aber seine wesentliche Aufgabe war eine ganz besondere: Bei QPR gibt es die Möglichkeit, einen Teil der Asche von verstorbenen Fans hinter der Torlinie zu begraben. Mir ist kein weiterer Proficlub in London bekannt, der das anbietet. Etwa acht bis neun kleine Begräbniszeremonien führte Cameron pro Jahr durch. Die Fans kamen meist aus England, aber auch aus anderen Ländern. „Das ist keine offizielle Beerdigung“, stellte er klar. Nur ein kleiner Teil der Asche, etwa ein kleines Marmeladenglas, findet hier seine letzte Ruhe. Die Beerdigung des verstorbenen Menschen hat schon woanders stattgefunden und die informelle Zeremonie hier passiert einige Zeit später. Es ist vor allem für Hinterbliebene eine sehr wertvolle Erinnerung, dass ihre Liebsten auch über den Tod hinaus nah am Geschehen ihres Herzensvereins teilhaben können.

Cameron bot mir an, die kleine Zeremonie, die er mit den Hinterbliebenen durchführte, mit mir im Stadion durchzugehen. Nach der Kontaktaufnahme erklärte Cameron den Hinterbliebenen den Ablauf der kostenfreien Zeremonie, so dass diese wussten, was auf sie zukommen würde. Auf Wunsch können bis zu 40 Personen teilnehmen. Der erste gemeinsame Weg führte dann in die Umkleidekabine. „Es war ganz unterschiedlich, wie lange die Familien sich hier aufhielten“, erzählte er. „Manche machten Fotos, andere wiederum verließen die Kabine nach einem kurzen Blick.“ Anschließend ging es durch den Spielertunnel auf den Rasen. Dort wurde fast eine ganze Runde um das Spielfeld gedreht bis zum dem Tor, das auf der Seite der Loftus Road steht. Diese Zeit nutzte der Pfarrer, um ins Gespräch zu kommen über die Verstorbenen. “Manche brachten Fotos mit, andere beklebten das kleine Glas mit der Asche mit persönlichen Motiven, andere waren eher still und wieder andere genossen die Aussicht und machten viele Fotos“, berichtete er. Die eigentliche Zeremonie aus kleinem Gebet und einer Schweigeminute fand anschließend an der Torlinie statt. Auf halber Höhe zwischen Eckfahne und Tor gibt es eine Grube, in die die Asche dann geschüttet wurde. So wird der Fan Teil des Grounds. Platten oder Namen der Toten sucht man allerdings vergeblich, es soll ja etwas Informelles bleiben. Bedauerlicherweise konnten wir am Tag meines Besuches die Grube auch nicht sehen, da sie schon für den nächsten Spieltag mit einer großen Fahne abgedeckt war. Cameron und ich standen noch einen Augenblick an der Linie, vor uns das große, leere Stadion, ein alter Ground mit knapp 18.500 Sitzplätzen. Die Flutlichtmasten grüßten den Himmel. „Ein schöner Platz, um seine letzte Ruhe zu finden“, dachte ich.

Als ich Loftus Road verließ, war es sehr warm geworden. Ich entschloss mich, zum FC Chelsea zu fahren, eine Runde um die Stamford Bridge zu drehen und auf dem dahinterliegenden Friedhof meine London-Reise ausklingen zu lassen.

FC Chelsea, Stamford Bridge und Brompton Cementary

An der Stamford Bridge waren schon einige Auswärtsfans vorm Stadion. Am Abend spielte Chelsea im Europapokal gegen Slavia Prag. Ich drehte eine Runde um die Spielstätte. Auf der Rückseite begrenzt die Friedhofsmauer das Gelände. Es war ruhig. Die Eingänge an der Nord- und Osttribüne waren noch verwaist, auch die der Auswärtsgäste. Hin und wieder traf ich auf ein paar beschäftigte Mitarbeiter*innen des Clubs, die mir zunickten. Plötzlich ging ein Tor auf und zwei Jungs fuhren mit ihren Rasenmaschinen und weiteren Geräten heraus. Es waren die Greenkeeper, die den Rasen für das Spiel am Abend chic gemacht hatten. Ich erhaschte einen längeren Blick ins Innere, wo seit 2006 die Asche des früheren Chelsea-Stürmers Peter Osgood unterm Elfmeterpunkt vor „The Shed“ liegt, und setzte nach einigen Minuten meine Runde fort. Die endete schließlich am Shed Wall, dem südlichen Ende der Stamford Bridge.

Ich verließ die Heimat der Blues und stand wenige Minuten später vorm Eingang des Brompton Cemetery. Der Friedhof besteht seit 1840 und ist einer der ältesten sogenannten Parkfriedhöfe in London. Er ist über 16 Hektar groß (im Vergleich dazu: ein Fußballfeld in Standardgröße ist etwa 0,7 Hektar groß) und eine Mischung aus Park, historischen Denkmälern, Wildtieren und den Gräbern der über 200.000 Menschen, die hier beerdigt sind. Darunter auch der Gründer des Chelsea Football Clubs, Gus Mears. Es war ein schöner Nachmittag und der Friedhof war rege besucht. Jogger*innen, Eltern mit Kinderwagen, Menschen in Businesskleidung, die ihr Lunch aßen, Gärtner*innen, die sich um die Wegbepflanzung kümmerten, eine ältere Dame, die ein Grab goss. Eichhörnchen liefen mir vor die Füße und weiter hinten fanden sich alte, historische Denkmäler. Ich lief in Richtung jener Friedhofsmauer, die das Chelsea-Geländer vom Friedhof trennt. Vor mir die Gräber, im Hintergrund das Stadion. Ich setzte mich auf eine Bank. Die Sonnenstrahlen fielen durch die Bäume des Friedhofs und über der Stamford Bridge zogen weiße Wolken vorüber. Trauer und Fußball treffen aufeinander, das gilt auch hier für diesen ganz besonderen Ort.

Es war später Nachmittag als ich den Friedhof verließ und in einen roten Doppeldeckerbus stieg. Ganz vorne oben war ein Platz frei. Es war dichter Verkehr, der Bus schaukelte durch Fulham, links und rechts am Straßenrand waren viele Fans unterwegs zum heutigen Viertelfinalspiel der Europa-League. Meine Reise durch die englische Fußballmemorialkultur war zu Ende, ich blickte aus dem Fenster des Buses und aus meinen Kopfhörern ertönte „Football is coming home“.

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Autor*innen-Information: Carmen Mayer ist Trauerbegleiterin in Berlin in eigener Praxis mit den Schwerpunkten Krankheit, Trauer, Tod und Verlust und forscht zum Thema Trauer und Fußball, worüber sie auch eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben hat. Daraus ist dann das Projekt Trauer und Fußball entstanden. Sie ist Dauerkartenbesitzerin bei Turbine Potsdam und ihr Herz schlägt auch noch grün-weiß für den SV Werder Bremen.

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